Das zweite Gesicht der Pianistin Beate Ramisch

“Ach, Sie studieren Musik? Wie schön, Sie sind doch bestimmt Sängerin, nicht wahr?”

Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch das künstlerische Leben der Pianistin Beate Ramisch, als ob es da etwas einzulösen gäbe: ein verborgenes Talent, eine heimliche Liebe zum Gesang, wie immer man es auch nennen mag. Tatsächlich begleitete das Singen als unmittelbarste und ursprünglichste musikalische Ausdrucksform des Menschen die Musikerin seit ihren frühen Kindertagen. Und es war ein bunter Liederstrauß, der da zum Tragen kam:
Im Anfang waren da alte deutsche Volkslieder, zunächst gesungen von Mutter und Großmutter mit nichts als ihren klaren Stimmen, später dann elektrisierend vermittelt durch die genialen Arrangements der bekannten Hamburger Folk- und Mittelalter-Rockgruppe Ougenweide. Dann gab es die große Zahl an Kirchenliedern, mit denen man im katholischen Süden groß wurde. Gleichzeitig wurden der heimische Plattenschrank und die großen Tonbandspulen des Vaters zur unerschöpflichen Quelle für Beatmusik, Rock und Pop, Chanson und Schlager - das Beste aus drei Jahrzehnten moderner Musikentwicklung hatte einen starken Einfluss auf die junge Musikerin: Sie wurde zur glühenden Verehrerin u.a. von Reinhard Mey, von ABBA, den Beatles, von Queen, vor allem aber von der faszinierenden Künstlerin Kate Bush. Kaum ein Musiker hat die junge Beate Ramisch so stark beeinflusst wie die geniale Sängerin, deren vielschichtige und experimentelle Songs und ausdrucksstarke Performance höchste künstlerische Ansprüche erfüllen. Zum anderen gab es da aber auch Schuberts “Winterreise” und verwandte Liederzyklen, welche die Pianistin Beate Ramisch zutiefst berührten und das deutsche Kunstlied in ihrer Seele verankerten. Nicht zu vergessen auch ihre Begeisterung für den Chorgesang, für die grandiose Performance der englischen Vokalsextette “The King's Singers” und “The Hilliard Ensemble” sowie die Bekanntschaft mit zahlreichen Ensembles für Alte Musik.

Neben ihrer Ausbildung zur Pianistin war Beate Ramisch demnach stets aktiv in mehreren Vokalensembles: Vor allem zu nennen wären die Jahre bei den “Cantores Juvenales” Amberg (1987-89), bei der “Cappella” der Hochschule für Musik Detmold (1989-92) sowie bei der “Camerata vocale”Detmold (1995-2005).

Kurz gesagt, die gesungene Musik spielte im Verhältnis zur Instrumentalmusik immer eine mindestens gleichwertige Rolle im Leben der Pianistin Beate Ramisch. Generell existierte in ihrer Vorstellung auch niemals eine Trennung musikalischer Kategorien. Herausragende Künstler im Bereich der sogenannten Popularmusik standen für sie schon immer gleichberechtigt neben den Komponisten der abendländischen Klassik. Insofern war es nur folgerichtig, dass sie in den Jahren nach ihrem Studium an der Hochschule für Musik Detmold ein zunehmendes Interesse an den Musikkulturen der Welt entwickelte; ihre ersten Entdeckungen waren dabei irisch-keltische Musik, russische und ungarische Zigeunermusik, jüdischer Klezmer aus Osteuropa, spanischer Flamenco, portugiesischer Fado sowie argentinischer Tango, vor allem Astor Piazzolla.

Doch zur entscheidenden Erfahrung wurde ein Urlaub in Griechenland im Jahr 2000, quasi als Liebe auf den ersten Blick. Beeindruckt von der Kultur dieses Landes beschloss die Künstlerin, für ein Jahr dort zu leben, um die Vielfalt der griechischen Traditions- und Kunstmusik sowie die dortige Chansonkultur zu studieren. Auch nach der Rückkehr nach Deutschland wurde die griechisch-kleinasiatische Musik für Beate Ramisch eine immer wichtigere Quelle lebendiger Inspiration. Während der letzten Jahre rückte dabei das Interesse für die reiche Tradition der anatolischen Musik mehr und mehr in den Vordergrund, verbunden mit Ausblicken auf die Musik Armeniens, Azerbaijans, Persiens sowie der arabischen Länder.

Die intensive Beschäftigung mit den unterschiedlichsten Musikstilen und Künstlern der heutigen Türkei und ihre tiefe Empfindung für die Musik des Orients führten im Jahr 2007 zur Begegnung mit dem türkischen Sänger und Komponisten Hasan Yükselir. In der Zusammenarbeit mit ihm erfüllt sich für Beate Ramisch der innige Wunsch, Lieder und Chansons über alle nationalen und ideellen Grenzen hinaus zu vereinen. 2008 begründeten die beiden Künstler ihre gemeinsame Konzerttätigkeit, und 2010 startete Beate Ramisch ihr interkulturelles Projekt LIEDER OHNE GRENZEN.

Seit 2010 erhält Beate Ramisch weiterführenden Gesangsunterricht bei dem Dozenten Hans Peter Bendt, der als Bass unter anderem bekannt ist durch seine Mitwirkung im Vokalensemble “The Drops”. Im Jahre 2011 wurde sie außerdem Mitglied beim Vokalensemble canta filia, einer Gruppe von acht Gesangssolistinnen unter der Leitung von Barbara Grohmann-Kraaz. Gemeinsam mit canta filia und Hasan Yükselir verwirklichte Beate Ramisch das Projekt “Mystik des Mittelalters in Orient und Okzident” (Premieren waren am 9. und 10. September 2011 in Höxter und Bielefeld).

Beim zweiten Konzert ihrer Reihe LIEDER OHNE GRENZEN am 01. 10. 2011 debütierte Beate Ramisch schließlich als Chansonsängerin an der Seite von Hasan Yükselir, Ulrike Wahren und Volkwin Müller im Konzerthaus der Hochschule für Musik Detmold. Im dritten Konzert der Reihe am 29. 09. 2012 wird sie ebenfalls als Sängerin auftreten mit einem Programm griechischer Rembetika.

Beate Ramisch lebt heute als freischaffende Pianistin, Klavierpädagogin, Sängerin und Projektmanagerin in Detmold, außerdem lehrt sie an der Hochschule für Musik Detmold.